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1. Dezember 2020

Crys Tale of the Moon: Werwölfe – Teil 1

Drunk von Ed Sheeran

Prolog

„Es hat keinen Sinn. Lass mich einfach hier draußen sterben.“
106. Ich biss die Zähne zusammen und grub weiter. 106 Mal hatte Lori mich schon gebeten, sie zu töten. Beim 39. Mal hatte ich mir geschworen, nicht mehr mitzuzählen. Beim 67. Mal hätte ich sie beinahe an einem Baum gekettet zurückgelassen. Beim 92. Mal wollte ich ihr mit Kentos Katana eins überziehen.
Kento. Hätte ich seine Stimme nicht in meinem Kopf, wäre ich schon längst verrückt geworden. Ähm. Das klingt irgendwie …

Ist es heute wieder schlimm?

Frag nicht. Was macht ihr?

Mandriya und Balthazar beraten immer noch. Wir haben ihnen ganz schön eingeheizt.

Seid ihr in der Nähe der Akademie?

Ja, aber keine Sorge. Sie planen keinen Angriff.

Das ist gut. Ich vermisse dich.

Und ich liebe dich, Jägerin.

Ich liebe dich, Kento.

„Redest du wieder mit ihm?“

Ich schreckte auf und nahm die Hand von meiner glitzernden Schneeflocke, die an einer feinen, silbernen Kette baumelte. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Der Spaten landete auf meinem Fuß und ich versuchte, unbeteiligt zu wirken. Aua.

„Schon gut.“ Lori lehnte sich zurück an den Baum. „Ich kenne dich immer noch, weißt du? Aber es ist besser, wenn du es mir nicht sagst. Ich bin übrigens ein ziemlich hohes Risiko für dich.“

Die Pause danach wirkte einstudiert. Seit fünf Nächten hörte ich stündlich all die Gründe, warum ich sie nicht mitnehmen solle. Nur dass mir die Gründe egal waren. Ich nahm sie mit. Ich grub jeden Tag in der Morgendämmerung ein Loch, um Lori vor der Sonne zu schützen. Ich schoss einen Hasen oder ein anderes Tier und briet es über einem Feuer. Ich sammelte Beeren und suchte Wasser. Ich kletterte auf einen Baum und band mich mit dem Seil an einem Ast fest, um ein paar Stunden zu schlafen. Ich übte mit dem Katana. Ich hetzte Lori jede Nacht an der Kette durch den Wald. Die Nächte waren kurz und wir waren unserem Ziel noch nicht nahe genug gekommen.

„Ist er immer noch da?“ Es war ein Ablenkungsmanöver und kein gutes. Heute war wieder einer dieser Tage. An denen mein Hals trocken war und meine Hände an der Schaufel zuckten. An denen ich Lori zu lange anstarrte und meine Zündschnur in Sekundenbruchteilen Feuer fing.

Lori ließ sich Zeit mit der Antwort. „Ja.“

„Hat er mit dir gesprochen?“

„Nein.“

Inzwischen wunderte es mich nicht mehr, dass es neben Vampiren und Werwölfen auch andere Wesen gab. Eines davon folgte uns seit wir losgegangen waren. Man könnte es ‚auf der Erde verweilende Restenergie‘ oder Geist nennen. Ich gab ihm den Namen, den ich als Kind ausgesucht hatte – Grille.

Er hatte sich mir erst einmal gezeigt. An einem dieser Tage, als ich schon mein Messer in der Hand gehalten und Lori mich aus großen Augen angestarrt hatte. Ich hatte nur noch an eines gedacht: Das warme, köstliche, rote Blut, das unablässig durch ihren Körper gepumpt wurde, meine Schmerzen lindern und mir neue Energie geben konnte. Ich hatte es beinahe auf der Zunge schmecken können. Nur ein kleiner Schritt, ein kleiner Schnitt … Unvermittelt hatte sich Grille vor meinen Augen genau zwischen uns manifestiert. Mein Durst hatte sich augenblicklich verflüchtigt und ich hatte mehrmals geblinzelt, bis ich verstanden hatte, wer da vor mir stand und mich wortlos fixierte.

Der Gedanke daran ließ mich auch heute wieder ruhiger werden. Ich hatte ein Ziel. Und es war ganz bestimmt nicht, so zu enden wie mein Kindheitsfreund. Ich wusste nicht, warum er uns folgte. Lori wusste nicht viel mehr. Sie hatte in ihren Jahren bei Mandriya einiges über andere Wesen mitbekommen, aber sie war im Augenblick zu … störrisch, um ihr Wissen mit mir zu teilen.

Ich warf einen Blick auf den Kompass. Die Richtung stimmte. Vier Tage noch bis Ilsestein nach einer ungefähren Schätzung. Die Areal-Grenze von Pania zu Brocberg hatten wir überquert. Was würde uns bei den Werwölfen erwarten?

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